Erstveröffentlichung in der CHorika 3_2013
Habe ich mich im letzten Heft intensiv mit Selbstrespekt und
der Entwicklung der Tanzszene im Grundsätzlichen beschäftigt, so haben mich
meine Erlebnisse der letzten Wochen dazu bewogen, mich auch mal mit dem Thema
Selbstüberschätzung zu befassen.
Da musste ich (als ich als Moderatorin auf einem „open air“
Tanzevent kurzfristig eingesprungen bin) erleben, dass eine Tanzkollegin, die
seit ca. einem halben Jahr in einem nahegelegenen Ort unterrichtet, sich von
mir als Profitänzerin ansagen ließ mit einer tänzerischen Technikleistung, die
ich in meinen Kursen irgendwo im Bereich Mittelstufe einordnen würde. Bitte
versteht mich nicht falsch, auch ich habe noch viele Lücken und Lernbedarf,
aber ich würde mich auch nie als Profitänzerin bezeichnen (… was ist das
überhaupt … eine Profitänzerin? - hier hätte ich mal die Frage, wie wir das
definieren möchten ...). Nun, mir blieb fast die Spucke weg dennoch folgte brav
der Anweisung. Den Satz „Ich bin schließlich auch ein Profi“ bekam ich an dem Tag
übrigens noch ganze zweimal aus anderen Mündern zu hören. Ehrfürchtig versuche
ich also, das Gesehene und das Gesprochene irgendwie in Übereinstimmung zu
bringen, aber ich habe zugegebenermaßen größte Mühe damit. Wir sind also beim
Thema angekommen und ich habe Erklärungsnotstand.
Fragen wir doch mal Wikipedia:
… Menschen mit schwachem Selbstwert können zur
Selbstüberschätzung neigen, um von ihren subjektiven oder objektiven Schwächen
und Unkenntnissen abzulenken. Sie sind dabei häufig wenig selbstkritisch. Viele
versuchen, eine realistische Überprüfung tatsächlicher Fähigkeiten zu
vermeiden, zum Beispiel durch Hochmut,
oder sich einer solchen zu entziehen. Andauernde Selbstüberschätzung kann zu
Misserfolgen und Scheitern führen …
Komisch – da ziehe ich unwillkürlich Parallelen, obwohl ich
das nicht möchte. Manchmal zwingen sich einfach Gedanken auf und man versucht
sie vehement zu streichen … vergeblich.
Was mich nun interessieren würde, gibt es das nur im OT?
Liegt es daran, dass es keine fest vorgeschriebenen Ausbildungsgänge gibt, die
geregelt sind und anhand derer man sich einordnen könnte? Eine staatliche
Prüfung, wäre das die Lösung? Eine Koppelung der Unterrichtserlaubnis an eine
staatliche Lizenz? Andere Frage: Würde dies dem Tanz seine Seele nehmen? Eine
Fragestellung, die ich gerne auch einmal diskutiert hätte – mit TänzerInnen,
die tatsächlich ihren Lebensunterhalt damit verdienen, und mit
HobbytänzerInnen, die sich über ihr Tun ernsthaft Gedanken machen, und mit
LehrerInnen mit langjähriger Erfahrung.
Ich jedenfalls bin es Leid, völlig realitätsfremden
Kolleginnen mit ihren perfekten Kenntnissen in klassisch orientalischem Tanz,
natürlich allen Folkloretänzen – Bollywood, persischem Tanz, Tribal Fusion und
meinetwegen auch noch Flamenco – das alles wohlgemerkt in wenigen Jahren
erlernt – den Eitelkeitsbauch zu streicheln!
Ganz abgesehen davon, wenn frau mit über 25 das Tanzen
beginnt, wie kommt sie darauf, ein „Profi“ zu werden … – also eine
Berufstänzerin – wie ich den „Profi“ hier einfach mal definiere – bleiben wir
doch auf dem Boden der Realität. Was nicht heißt, dass Frauen über 40 nicht gut
tanzen könnten. Für meine Begriffe wird es zumindest im Orientalischen Tanz ab
40 erst richtig interessant und der Tanz auch gefüllt mit dem Stück Weib,
welches sich erst richtig jenseits der 30-er etabliert! Mit 20 Jahren, da kann
man eventuell daran denken eine Profikarriere einzuschlagen und es bleibt
trotzdem die Frage, ob dies ein erstrebenswertes Ziel ist. Ich für meinen Teil
empfinde es als Privileg, diese Tanzform als Hobby betreiben zu dürfen, frei
entscheiden zu können, wann ich was mache, wie ich es mache und mit wem. Der
Profi, der davon leben muss, hat diese Freiheit nicht.
Aber was bedeutet es, wenn Dir Kolleginnen sagen „Ich bin
schließlich auch ein Profi“? Dieser Satz beinhaltet einen Vergleich – nämlich
„auch“ – also schön … man sieht mich als Profi … das ist zwar nett, würde ich
aber so nicht sehen. Des Weiteren impliziert dieser Satz eine Wertung – nämlich
„so wie Du“. Man will mir sagen, ich bin genauso viel Wert wie Du. Richtig!
Jeder ist so viel Wert wie der Andere! Leute, wo ist das Problem. Warum ist
diese Form der Feindseligkeit so wichtig im Leben? Jeder macht „sein Ding“ nach
„seiner Facon“. Jeder hat „sein Publikum“, „seine Fans“ – das Spiel „ ich will
aber mehr als Du haben“ ist ein Spiel aus dem Sandkasten. Wir sind alle
erwachsene Menschen! Kommen wir also auf das Thema der letzten Spiegelbilder
zurück – den Selbstrespekt. Vielleicht macht es mehr Sinn, sich auf sich selbst
zu besinnen, ein bisschen selbstkritischer zu sein und nicht immer in
Konkurrenz treten zu wollen. Das bringt einen langfristig weiter als der Kampf
darum, wer den Kopf einen Millimeter weiter vorne hat. Die meisten von uns
pflegen ein schönes Hobby und sollten sich ihrer Verantwortung den SchülerInnen
gegenüber bewusst sein. Daher vielleicht einfach einmal mehr das eigene Wissen
erweitern und weiter lernen statt erbost die Ellenbogen auszufahren und sich
den Platz anzueignen, der eigentlich allen gehört!
Gerstern habe ich die Werbung einer Kollegin in der Nähe
gefunden. Sie wirbt mit einem Bauchtanzkurs Ü50 im Seniorenzentrum xy, während
Ihre weiteren Bauchtanzkurse (wohl für Frauen unter 50) in Turnräumen stattfinden.
Ausgrenzung der älteren Kursteilnehmerinnen als Senioren finde ich persönlich
sehr grenzwertig!
Ja, ich glaube ich bin gerade ziemlich maulig – aber das
wisst Ihr ja – Ich bin eben Ü50 und will noch nicht ins Seniorenzentrum.