Donnerstag, 23. Juli 2015

Wohin geht die Reise - Beitrag in der Chorikà 1_2015 - Thema OT - gestern -heute-morgen



Orientalischer Tanz – gestern – heute – morgen
Wohin geht die Reise?
Ein Thema, über das man Bücher schreiben könnte, und jeder hätte dazu sicherlich seine ganz eigene Prognose. Daher ist diese Betrachtung als eine von vielen zu sehen und in erster Linie als Anregung zum Nachdenken geschrieben. Vielleicht bekommen wir ja auch Feedback und können endlich mal Leserbriefe veröffentlichen!
Der Orientalische Tanz – und hier rede ich vom „klassisch orientalischen Tanz“ – hat sich nicht erst heute verändert. Wie wir bereits in den anderen Artikeln dieses Heftes lesen konnten, gibt es immer Weiterentwicklungen. So wird sich auch in Zukunft der klassisch orientalische Tanz weiterentwickeln. Schauen wir gen Osten und auch nach Amerika, sehen wir eine starke Strömung in Richtung Akrobatik – TanzSPORT. Das wird sicher morgen die Hauptrichtung sein, die den klassischen Raqs Sharqi bestimmen wird. Damit wird er aber als Hobby in dieser Form nicht mehr tanzbar sein und seine Bedeutung als Tanz für Frauen jeden Alters verlieren. Vielleich finden wir ihn in 10 Jahren im Basisprogramm jeder Tanzschule als „eine“ von vielen Tanzformen. Die, die den Tanz leben und lehren, haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Tanzes und damit eine große Verantwortung. Hier sehe ich vor allem auch den BVOT in der Pflicht.
Segen oder Fluch?
Wird der klassische Raqs Sharqi ein Tanz im Rahmen des internationalen Tanzsports, dann wird es geregelte Vorgaben für die Ausbildung geben, sowohl für die LehrerInnen als auch für die TänzerInnen. Damit wird sich dieser Tanz in den geregelten Bahnen des DTV bewegen. Wollen wir eine geregelte Ausbildung und prüfbare Qualifikationen der Lehrkräfte, wird der Weg dahin gehen müssen. Aber wo bleibt die Seele der Folklore, die gestern noch spürbar war? Sie wird unter diesen Voraussetzungen auf der Strecke bleiben – so wie es in Deutschland und vielen „modernen“ Staaten letztendlich keine Folklore mehr gibt. Die Entfremdung von den Wurzeln eines Volkes ist vielleicht einfach der Preis, den wir für die „Globalisierung“ bezahlen müssen.
Folklore – eine aussterbende Spezies?
Aus meiner Sicht würde ich heute sagen „ja“! Nicht nur im Orientalischen Tanz – auch in traditionellen Tänzen anderer Länder ist die „Globalisierung“ ganz deutlich zu sehen. Der „Missbrauch“ traditioneller Tänze zu „Fusionszwecken“ ist nicht nur ein Problem der Orient-Tanzszene. Wollen wir die Wurzeln erhalten, müssen wir sie pflegen – mit Verstand, mit viel Liebe und fundiertem Wissen. D. h. es muss LehrerInnen geben, die diese Tanzkünste fundiert kennen und lehren. Ich kann nur hoffen, dass die Foklore hinübergerettet werden kann in die Zukunft, denn sie ist das Archiv unserer Kulturen und so etwas wie ein Geschichtsbuch der Völker der Erde. Sie zu verlieren hieße auch unsere Geschichte zu verlieren – das Wissen über unsere Wurzeln, denn die Bewegung und die Musik kamen vor der komplexen Sprache. Tanz braucht keine Worte.
Fusionmania?
Alles mit allem zu verschmelzen ist ein ganz zentrales Zeichen der Zeit. Was steckt dahinter? Immer wieder neue Fusionstile zu erfinden ist auch ein Mittel, sich ein Alleinstellungsmerkmal zu geben. Der Wunsch nach Individualität, nach Wiedererkennbarkeit steht hier wohl im Vordergrund – sich selbst durch „Erfinden von Neuem“ einen Namen geben. Warum braucht eine Gesellschaft so etwas? Vielleicht weil in dieser Welt der „Gleichmacherei“ (Wie muss Frau/Mann aussehen und sein!) der Wunsch nach Wiedererkennbarkeit einfach immer größer wird? Ja, es ist ein Schub von Kreativität, das darf man dabei nicht vergessen. Und auch das ist ein Motor zur Weiterentwicklung.
Zukunft ohne Vergangenheit?
… gibt es nicht. Eine Entfremdung von der Tradition zieht häufig nach der Eskalation ein „Revival“ des „Alten“  nach sich. Hier können wir gespannt sein, ob es das beim klassischen Bauchtanz auch geben wird. Akrobatik und Hochleistungstanzsport werden den Charme und das Herz des Raqs Sharqi nicht weitertragen. Hier wird der wesentliche Teil einer Bauchtanzperformance einfach fehlen. Ist der Tanz „verwestlicht“, dann kann man ihn auch nicht mehr orientalischen Tanz nennen.