Donnerstag, 3. November 2016
Mythos TARAB
AL TARAB
Mit dem Begriff TARAB habe ich immer das Wort GENUSS in Verbindung gebracht. Also Musik genießen? Damit fängt es an, aber TARAB ist mehr. Ich habe mich also auf die Suche gemacht, Erklärungen zu finden für TARAB in der Musik und ob es TARAB auch im Tanz geben kann. Im Austausch mit Abeer Will und mit Recherche in guter Literatur konnte ich Licht ins Dunkel bringen.
In keiner Musikkultur außer der arabischen findet sich ein Begriff, der in seiner Aussage dem TARAB entspricht. Eine Erklärung, die alle Bedeutungen dieses Wortes umfasst, fällt nicht leicht. Was aber ganz klar herausgearbeitet werden kann, ist der Grundsatz, dass es Interaktionen geben muss, um TARAB entstehen zu lassen.
Musikwissenschaftler umschreiben diesen Begriff mit „Freude und Trauer erzeugender Gesang“. Andere wiederum stellen fest, dass ein Austausch zwischen Sänger – Musiker – Zuhörer stattfinden muss, damit TARAB entstehen kann. Hier nimmt das Publikum die Stimmung auf, (er-)lebt die Stimmung und gibt sie in Form von Freude oder Trauer an die Musiker zurück, es reflektiert also die freudigen und traurigen Stimmungen, die die Musik erzeugt. Gerade in der arabischen Musik wird die künstlerische Leistung im Bereich Gesang, Instrument und Improvisation als die Grundlage gesehen, TARAB entstehen zu lassen. Die Kunst ist hierbei das Entstehen eines – westlich ausgedrückt – „Flow“ zwischen Künstlern untereinander und/oder mit dem Publikum.
Ein Beispiel:
Oum Khoulthoums Auftritte unterschieden sich deutlich von ihren Studioaufnahmen. In den Studioaufnahmen fehlte das Publikum. Es fehlten die Reaktionen des Publikums und deren „Antworten“ und damit auch die vielen Wiederholungen und Improvisationen, die dadurch während ihres Live-Auftrittes entstanden. Hier konnte TARAB entstehen, während Sängerin, Orchester und Publikum intensiv in einen „gemeinsamen Erlebnisraum“ traten.
AL TARAB beim Tanz? Zuerst stellt sich hier für mich die Frage, warum wir in der „nicht arabisch beheimateten“ Orientalischen Tanzszene unbedingt den Begriff „TARAB“ im Tanz haben wollen – den Begriff innerhalb des Tanzes zu verwenden habe ich von Orientalen nie gehört. Die nächste Frage (in Anbetracht der wie Pilze aus dem Boden schießenden Angebote „Tarab“ tanzen zu lernen) wäre: „Kann man TARAB tanzen lernen?“ Und weil ich das auch schon häufig gehört habe, stelle ich klar: einen Taqsim oder Mawwal zu tanzen, hat mit dem TARAB-Begriff nichts zu tun.
Fazit: TARAB tanzen lernen kann man nicht, denn TARAB ist der Genuss an der Musik. Ein Musikstück, welches ich tanzen möchte, wieder und wieder zu hören und mich in der Musik zu verlieren und TARAB zu erleben, ist Musikgenuss. In dieser Verlorenheit mich auf den Tanz einzulassen, ist Improvisation. In der Musik verloren zu gehen, zu genießen und die Bewegung einfach „raus“ zu lassen, ist Ausdruckstanz. Auch als Tänzerin kann ich TARAB erleben – im Einlassen auf die Musik, sicher – wir erinnern uns: TARAB lebt von der Interaktion – dem Verschmelzen der Musik mit dem Gefühl. Das kann man nicht lernen, das muss man erfahren. Lernen kann ich Bewegungsabläufe, Technik und bis zu einem gewissen Grad technisches Musikverständnis. TARAB als Anlass zur Bewegung muss passieren, weil man loslässt, weil man aufhört zu werten, weil man aufhört zu kontrollieren, weil man aufhört sich in Formen zu pressen und weil man der Musik gestattet, in den Körper einzudringen und dort Impulse zu geben. TARAB ist ein Gefühl für die Musik, keine Tanztechnik.
Und nun setzt Euch auf die Couch mit einem Lieblingsgetränk, haut eine Live-Aufnahme von Oum Khoulthoum in den CD-Player und lasst „Freude oder Trauer aus dem Gesang“ in Euch entstehen.
Unser Hörtipp: El Atlal von Oum Khoulthoum (nehmt unbedingt einen Live-Mitschnitt!)
.com)
Quelle:
Buch mit Begleit-CDs
Prof. Dr. Issam El-Mallah, Ethnomusikologe, Uni München: Al Tarab
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